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Ein paar Worte zu...Milena Michiko Flašar - Ich nannte ihn Krawatte

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Milena Michiko Flašar Ich nannte ihn Krawatte| Gegenwartsliteratur| Taschenbuch, 144 Seiten| Preis: 8,99€| TB erschienen am 10. rz 2014 | ISBN: 9783442746569
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Einen wunderschönen Sonntag, ihr Lieben! 
Bereits im April bin ich durch die liebe Karo auf den ARD Lesekreis, organisiert durch Karla Paul, gestoßen und habe mich dann kurzerhand dazu entschlossen, für das Maibuch mit einzusteigen. Gevoted wurde für das Buch Ich nannte ihn Krawatte von Milena Michiko Flašar. Ein relativ dünnes Büchlein, dass es aber sprachlich ganz schön in sich hat!

Worum geht es?

Wer in einem Lachen nichts anderes als ein Lachen hört, der ist taub.
Ist es Zufall oder eine Entscheidung? Auf einer Parkbank begegnen sich zwei Menschen. Der eine alt, der andere jung, zwei aus dem Rahmen Gefallene. Jeder auf seine Weise, beide radikal, verweigern sie sich der Norm. Erst einem fremden Gegenüber erzählen sie nach und nach ihr Leben und setzen zögernd wieder einen Fuß auf die Erde. (...) Dieser Roman stellt der Angst vor allem, was aus der Norm fällt, die Möglichkeit von Nähe entgegen – sowie die archaische Kraft der Verweigerung.

Wie hat es mir gefallen?

Mit Japan habe ich eigentlich nicht viel am Hut und wäre der Lesekreis nicht gewesen, hätte ich auch nicht zu diesem Buch gegriffen, so unscheinbar, wie es äußerlich wirkt. Aber wie die liebe Vanessa von PalomaPixel schon schrieb, ist der Japan-Aspekt eher sekundär angelegt. Und das Buch birgt so viel mehr in sich, als es den Anschein macht! Während Vanessa besonders schön formulierte Textstellen fröhlich angemarkert hat, ist meine Ausgabe des Buches ein einziges Eselsohr (ich höre schon den Aufschrei). Aber ich konnte einfach nicht an mich halten, so schön war das Geschriebene zweier Menschen, die sich aus dem Gewebe der Gesellschaft (der Norm) versuchen zu lösen. 
Jemandem zu begegnen bedeutet, sich zu verwickeln. Es wird ein unsichtbarer Faden geknüpft. Von Mensch zu Mensch. Lauter Fäden. Kreuz und quer. Jemandem zu begegnen bedeutet, Teil seines Gewebes zu werden, und dies galt es zu vermeiden. (S. 8f) 
Der eine junge Mensch, Taguchi, gibt sich dem Hikikomoro hin. Eine Form der freiwilligen Isolation, um sich dem Druck der Gesellschaft zu entziehen. Wahrscheinlich ist das Krankheitsbild des Hikikomoro unserem der Depression oder des Burnout recht ähnlich. Man schafft es nicht mehr, den Erwartungen zu genügen und zieht sich zurück, kapselt sich ab, sucht einen Weg aus dem Hamsterrad. Welche Beweggründe Taguchi für die Isolation hat, erfahren wir Leser erst nach und nach. Das Buch setzt da an, als Taguchi nach zwei Jahren des Alleineseins das erste Mal wieder einen Fuß auf die Straße setzt und in den Park geht. Um dort auf den älteren Herren Ohara zu treffen. 
Miteinander zu sprechen wäre zu diesem Zeitpunkt noch eine Übertretung gewesen. Das war eine Grenze, der Kriesweg. Hier meine, dort seine Bank. Dazwischen Grashalme, ein rollender Ball, ein Kind, das hinterherpurzelte. (S. 23)  
Ohara war einmal ein erfolgreicher Geschäftsmann. Dann verlor er seinen Job, aufgrund seines zunehmenden Alters und der damit einhergehenden Leistungsabnahme. Er konnte es nicht übers Herz bringen, seiner Frau davon zu erzählen. Und so verlässt er weiterhin jeden Morgen das Haus, um zum eigentlichen Arbeitsbeginn um 9Uhr auf der Parkbank zu sitzen und die Zeit abzuwarten. Er verzehrt das von seiner Frau gemachte Bento und geht um die Feierabendszeit nach Hause. Er spielt absichtlich Theater um den Schein zu wahren. Bis er eben auf Taguchi trifft und sie sich beide gleichermaßen einander öffnen und sich eingestehen, dass es okay ist, nicht der Norm zu entsprechen und einfach mal auszusteigen. 
Wie die Bitterkeit beschreiben? Ich war ein Glas, ein zerbrochenes, und der Raum, den ich einst umfasst hatte, war nun eins mit dem Raum rundherum. Öde Weite, in der ich mich verlief, unter den Füßen scharfe Messer. Mit jedem Schritt wurde es unwahrscheinlicher, irgendwann einmal irgendwo anzukommen. (S. 76) 
Milena Michiko Flašar schreibt vor allem so: bildhaft und wortgewaltig. Jedes geschriebene Wort ist vollkommen berechtigt in seinem Dasein und ich fühlte mich beinahe so, als würde ich selbst auf einer dieser Parkbänke sitzen und diesen zwei Männern zuhören. Besonders gefallen hat mir, dass ich für mich dann doch sehr viel Japanisches mitnehmen konnte. So war mir beispielsweise nicht bekannt, dass dort eben das Hikikomoro existiert, und diese Krankheitsform von der Gesellschaft ebenso wenig akzeptiert wird, wie es bei uns mit Burnout und Depressionen der Fall ist. Was ich mir schon fast denken konnte, war auch das gezeichnete Bild der japanischen Leistungsgesellschaft. Erschreckend, dass sich die ganze Welt scheinbar in diese Richtung des LeistenLeistenLeisten bewegt. Aber es wird sich nicht nur auf Leistung oder eben auf das skizzierte Krankheitsbild beschränkt, sondern auf viele andere japanische Eigenarten, die in einem zusätzlichen Wortregister erklärt werden. 

Lediglich der Erzählbruch gen Mitte des Buches hat mich aus der Geschichte rausgehauen. Hier beginnt Taguchi aus seiner Schulzeit zu berichten. Vielleicht wäre es hier meine Aufgabe gewesen, genauer zu lesen und genau nachzuvollziehen, weshalb gerade hier ein Bruch erfolgte. Somit kämpfte ich dann einige Seiten lang, wieder in die Geschichte reinzukommen, was dann auch auf den letzten Kapiteln glückte.

Gottseidank, denn auf den letzten Seiten des Buches wird es nochmal besonders aufwühlend und traurig zugleich. Aber es wird niemals so traurig, dass ich mich beim Beenden der Geschichte hilflos gefühlt hätte. Vielmehr steht man mit Taguchi vor einem Neuanfang, der positives hoffen lässt! Und warum das Buch eigentlich Ich nannte ihn Krawatte heißt, müsst ihr nun selbst herausfinden, in dem ihr dieses Buch lest :-) Ich habe dieser wortgewaltigen Geschichte von Milena Michiko Flašar jedenfalls 4 von 5 Sternen gegeben.

Lieblinks

Hier verlinke ich euch das Buch auch nochmal auf der VerlagsseiteDie offizielle Webpräsenz der Autorin findet ihr hier. Nebst Ich nannte ihn Krawatte hat Milena Michiko Flašar außerdem Okaasan - Meine unbekannte Mutter und [Ich bin] verfasst, zwei Bücher, die ich mir definitiv auch nochmal näher anschauen werde. 


Habt einen guten Start in die neue Woche! Wir lesen uns hier am Dienstag wieder :-)



 


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