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Ein paar Worte zu... Gavriel Savit - Anna und der Schwalbenmann

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Einen wunderschönen guten Tag, ihr Lieben! 
Heute möchte ich euch ein Buch vorstellen, welches bereits seit Dezember bei mir verweilt. Das Literaturhaus Politycki&Partner war so freundlich mir Gavriel Savit's Anna und der Schwalbenmann aus dem cbt-Verlag zuzusenden. Offiziell erscheint das Buch morgen, am 29. Februar 2016. Doch bereits seit letzter Woche kann das Buch in vielerlei Buchhandlungen und Online-Portalen bestellt und erworben werden. Gleichzeitig gilt dieses Jugendbuch im Holocaust Historical Fiction-Bereich schon jetzt als die Herzensangelegenheit für das Jahr 2016. Ob ich das genauso sehe? Das könnt ihr nun erfahren, doch zunächst...
Krakau, 1939. Anna ist noch ein Kind, als die Deutschen ihren Vater mitnehmen, einen jüdischen Intellektuellen. Sie versteht nicht, warum. Sie versteht nur, dass sie allein zurückbleibt. Und dann trifft Anna den Schwalbenmann. Geheimnisvoll ist er, charismatisch und klug, und ebenso wie ihr Vater kann er faszinierend viele Sprachen sprechen. Er kann Vogellaute imitieren und eine Schwalbe für sie anlocken. Und er kann überleben – in einer Welt, in der plötzlich alles voller tödlicher Feindseligkeit zu sein scheint. Anna schließt sich dem Schwalbenmann an, lernt von ihm, wie man jenseits der Städte wandert, sich im Wald ernährt und verbirgt. Wie man dem Tod entkommt, um das Leben zu bewahren. Aber in einer Welt, die am Abgrund steht, kann alles gefährlich werden. Auch der Schwalbenmann.

Schnell und unweigerlich wird man in die Geschichte hineingeworfen. Anna befindet sich für wenige Stunden in der Obhut von Dr. Fuchsmann, einer der dieselbe Sprache spricht wie die Soldaten der Gestapo. Ihr Vater würde bald wieder kommen, er müsse in der polnischen Akademie zu einer Debatte - doch dem ist nicht so. Vom Hörsaal geht es ins Gefängnis, von da aus in ein Internierungslager. Zurück bleibt Anna, bei einem Mann, der die Sprache der Gestapo spricht. 
"Papa", sagte Anna, "warum lachen sie über diesen Mann?". Annas Vater antwortete nicht. Der Soldat drehte sich um. "Weil", sagte er, "dieser Mann kein Mann ist, Kleine. Er ist ein Jude." Anna erinnerte sich genau an diesen Satz, denn er veränderte ihre Welt. Sie hatte gedacht, sie wusste, was Sprache war, wie Sprache funktionierte, wie die Menschen verschiedene Wörter aus der Luft sogen, um damit Dinge einzufangen. Aber das hier war komplizierter." (S. 17f)
Um Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, setzt Dr. Fuchsmann Anna auf die Straße. Hoffnungsvoll wartet sie weiter auf ihren geliebten Vater, doch er wird nicht kommen. Stattdessen erscheint der Schwalbenmann, eine kuriose Gestalt, die von Beginn an eine große Faszination auf Anna ausübt. Diese "Bewunderung" geht soweit, dass Anna dem Schwalbenmann nicht mehr von der Seite weicht, bis zum bitteren Ende. 
"Hör gut zu" sagte er und stieß erneut einen langsamen Seufzer aus. "Diese Welt von heute ist ein sehr, sehr gefährlicher Ort." Seine Stimme klang plötzlich kalt und abgemessen. (S. 49) 
Bücher aus dem Bereich Holocaust Historical Fiction sind durchaus keine leichte Kost, und so ist es auch bei Anna und der Schwalbenmann. Doch dieses Buch punktet vor allem dadurch, dass es versucht das greifbar zu machen, was für uns heute immernoch unbegreiflich scheint. Und zwar nicht einfach, indem es das wiederbelebt, was nicht in Vergessenheit geraten darf, sondern indem es sich dem Ganzen ja schon fast philosophisch annähert, transportiert durch die Figur des Schwalbenmannes. Es gibt kaum Zeilen, in denen kein Wort unbedacht gewählt wurde, kein Kapitel in dem es nicht tiefgründig zugeht. Denn immerhin sehen wir die Welt aus Anna's Sicht, aus der Sicht eines Kindes. Wie soll man einem unschuldigen Geschöpf all den plötzlichen Hass klar machen? Erzählte Bilder sind hier eine Möglichkeit, die der Schwalbenmann stets ergreift. 
"Sie sehen aus wie junge Männer, oder? Aber das sind sie nicht. Die, die von Westen kommen - sie sind Wölfe. Und die, die von Osten kommen, sind Bären. Sie verkleiden sich als junge Männer, weil sie sich als Menschen leichter an Orten der Menschen bewegen können, auf Straßen und in Städten. [...] Die Wölfe und Bären mögen keine Menschen, und wenn sie einen Grund finden, dir wehzutun, dann werden sie es tun. Sie sind hier, weil sie die Welt mit ihrer eigenen Art bevölkern wollen. Sie versuchen, sich so viel PLatz wie möglich zu schaffen, und das tun sie, indem sie die Menschen loswerden, und dazu kannst du jederzeit gehören." (S.86f)
Gleichzeitig sind Passagen wie diese so gut beschrieben, dass sie in Jugendlichen, denn für die ist ja dieses Buch vorrangig gemacht, keiner Ohnmacht nahe sind. Ich meine nicht, dass diese Textzeilen beschönigen würden, das tun sie nicht. Ganz im Gegenteil. Die Grausamkeiten dieser Zeit stehen immernoch in den Seiten, jedoch eben in anderer Weise transportiert. Berührend sind sie allemal und so manches Kapitel ließ mich mit offenem Munde zurück.  
"Deswegen sind wir hier. Es gibt einen Vogel in diesem Land, einen extrem seltenen Vogel, der sehr, sehr gefährdet ist. Es ist nur noch ein einziger seiner Art übrig. Und ich möchte ihn retten. Die Wölfe und die Bären wollen ihn auch unbedingt finden, weil er köstlich schmeckt und weil er der letzte ist, und sie glauben, wer ihn frisst, wird sehr, sehr stark." (S. 101)
Auch liest man dieses Buch mit einem stets wachsamen Gefühl, schön ist das nicht, doch zeigt es eben das, was Anna und der Schwalbenmann in dieser Zeit sein müssen: wachsam. Gavriel Savit hat es sowohl sprachlich als auch metaphorisch geschafft, dass ich mich äußerst gut in die Hauptfiguren einfinden konnte. All dies ließ mich emotional kein bisschen kalt. Ob dieses Buch auch in Hinblick auf Schule eine gute Lektüre wäre? Jein. Zwar sprechen viele ökonomische Aspekte (Schriftgröße, Aufmachung, Seitenanzahl) dafür, allerdings könnte das stetige Analysieren der philosophisch-geschriebenen Bilder bei den Schülerinnen und Schülern unserer Zeit massive Unlust erzeugen. Besser wäre wohl eine Einbettung einzelner Kapitel in den Unterricht, vielleicht sogar ein jenes, welches ich hier kurz zitiert habe. Ob das Buch für 14+ zu empfehlen wäre? Das hängt meiner Meinung nach ganz von der geistigen Reife der oder des 14. Jährigen ab. Wir haben es bei Anna und der Schwalbenmann nicht mit einer Mainstream-Lektüre zutun, das hier geht sehr viel tiefer. Würde ich die Geschichte generell empfehlen? Ganz klares Ja! 

Anna und der Schwalbenmann von Gavriel Savit hat in jedem Fall den Stempel Herzensangelegenheit/Herzensbuch 2016 verdient, alleine gegen das Vergessen! Sprachlich bewegt sich diese Geschichte auf unglaublich hohem Niveau, so wie ich es selten bei einem Jugendbuch dieses Genre's erlebt habe. Alle Achtung vor dem Autor und natürlich auch der Leistung der Übersetzerin Sophie Zeitz. Literatur über den Holocaust ist nicht für jeden etwas, dieses Buch schwimmt ganz klar gegen den derzeitigen literarischen Trend und das ist es, was dieses Buch so besonders macht! Fünf von fünf Sternen dafür.

An dieser Stelle nochmals vielen lieben Dank an das Literaturhaus Politycki&Partner sowie an den cbt/Randomhouse für das Zusenden dieses Leseexemplars! 
Hier findet ihr das Buch auch nochmal auf der Verlagsseite. Gavriel Savit ist hier offiziell zu finden. Außerdem verlinke ich euch hier auch nochmal eine top review aus The Guardian zum Buch! Mehr zum Literaturhaus Politycki&Partner könnt ihr hier erfahren.

Ich wünsche euch einen guten Start in die neue Woche, wir lesen uns hier am Dienstag wieder! 



 

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